Natürliche Geburt: Der komplette Guide zu Ablauf, Phasen und optimaler Vorbereitung

Die Schwangerschaft ist eine aufregende Zeit, und mit jedem Tag rückt der Moment der Geburt näher. Gerade als werdende oder unerfahrene Mutter tauchen viele Fragen auf, besonders wenn es um das Thema Geburtswege geht. Dieser Artikel ist Ihr fundierter, aber leicht verständlicher Guide. Wir erklären Ihnen den genauen Ablauf einer natürlichen Geburt, zeigen Ihnen, wie Sie sich optimal vorbereiten können, und geben Ihnen einen klaren Überblick über die Alternativen.

Was genau ist ein Geburtsweg und wie wird er unterschieden?

Bevor wir tief in die natürliche Geburt eintauchen, klären wir, was der Begriff Geburtsweg eigentlich meint. Vereinfacht gesagt beschreibt der Geburtsweg die Art und Weise, wie Ihr Baby auf die Welt kommt.

Der Geburtsweg wird primär in zwei Hauptkategorien unterteilt:

  1. Vaginale Geburt (Natürliche Geburt): Die Geburt findet auf natürlichem Wege durch den Geburtskanal statt. Dies ist in der Regel das primäre Ziel, sofern keine medizinischen Gründe dagegen sprechen.
  2. Abdominale Geburt (Kaiserschnitt): Das Kind wird durch einen operativen Eingriff, bei dem die Bauchdecke und die Gebärmutter geöffnet werden, entbunden.

Darüber hinaus gibt es spezialisierte Varianten dieser Wege, die oft die Umgebung oder bestimmte Techniken betreffen:

  • Wassergeburt: Eine vaginale Geburt, die in einer speziellen Geburtswanne stattfindet. Das warme Wasser wird oft als entspannend und schmerzlindernd empfunden.
  • Hausgeburt/Geburtshaus: Eine vaginale Geburt, die außerhalb einer Klinik, in vertrauter Umgebung und in Begleitung einer freiberuflichen Hebamme stattfindet.
  • Vaginal-Operative Geburt: Eine vaginale Geburt, bei der Hilfsmittel wie Saugglocke (Vakuumextraktion) oder Geburtszange eingesetzt werden, um die Austreibung zu beschleunigen.
Vergleich zwischen Natürlicher Geburt und Kaiserschnitt

Wie entbinden die meisten Frauen? Ein Blick auf die Realität in Österreich

Viele werdende Eltern fragen sich, welcher Geburtsweg am häufigsten ist. Grundsätzlich ist die vaginale Geburt weltweit der häufigste Geburtsweg, da sie, sofern komplikationsfrei, der natürliche und schonendste Weg für Mutter und Kind ist.

In Österreich ist die vaginale Geburt ebenfalls die häufigste Form, auch wenn die Kaiserschnittrate (Sectio-Rate) in den letzten Jahren gestiegen ist. Im Durchschnitt liegt die Kaiserschnittrate in Österreich bei etwa 29 bis 30 % (Quelle: Gyn-Aktiv). Dies bedeutet, dass etwa sieben von zehn Frauen vaginal entbinden.

Natürliche Geburt im Detail: Ablauf und die vier Phasen

Die natürliche Geburt ist ein komplexer und perfekt synchronisierter physiologischer Prozess, der in vier klinisch definierte Perioden unterteilt wird. Wir führen Sie durch die einzelnen Schritte, damit Sie wissen, was wann auf Sie zukommt.

Phase 1: Die Latenzphase (Das Präludium)

Die Latenzphase ist die vorbereitende und oft längste Periode der Geburt. Sie kann Stunden bis Tage andauern, besonders bei Erstgebärenden.

  • Was passiert? Der Gebärmutterhals (Zervix) beginnt sich zu verkürzen (verstreichen), und der Muttermund öffnet sich langsam auf etwa drei bis vier Zentimeter.
  • Geburtsanzeichen: Erste Anzeichen können der Abgang des Schleimpfropfens (manchmal leicht blutig) oder ein Blasensprung sein. Die Wehen sind in dieser Phase noch unregelmäßig, oft ziehend wie starke Menstruationsbeschwerden oder ein Druck im Rücken.
  • Wichtiger Tipp: Verwechseln Sie diese echten Wehen nicht mit den Vorwehen (Braxton-Hicks-Kontraktionen). Echte Geburtswehen sind länger (etwa eine Minute Dauer), kräftiger und erfordern, dass Sie sich zur Bewältigung auf Ihre Atmung konzentrieren müssen. Vorwehen sind leichter und unregelmäßig.
  • Vorbereitungstipp: Dies ist die Zeit, um zu entspannen und Kraft zu sammeln. Ruhen Sie sich aus, nehmen Sie ein warmes Bad, schauen Sie einen Film. Die Latenzphase verbringen die meisten Frauen in vertrauter Umgebung zu Hause.

Phase 2: Die Aktive Eröffnungsperiode

Dies ist die Phase, in der die eigentliche „Arbeit“ beginnt und Sie üblicherweise den Kreißsaal aufsuchen.

  • Was passiert? Die Wehen werden deutlich kräftiger und regelmäßiger, typischerweise kommen sie alle drei bis fünf Minuten und dauern 30 bis 60 Sekunden an. Sie bewirken die rasche Öffnung des Muttermundes von 4 cm auf die volle Dilatation von 10 cm. Gleichzeitig tritt der kindliche Kopf oder Steiß tiefer in den Geburtskanal ein.
  • Dauer: Bei Erstgebärenden dauert diese aktive Phase oft zwischen 6 und 12 Stunden.
  • Wichtiger Tipp: Nutzen Sie die in Geburtsvorbereitungskursen erlernten Atemtechniken aktiv. Eine bewusste, tiefe Atmung ist essenziell für die Sauerstoffversorgung von Ihnen und Ihrem Baby und hilft bei der Schmerzbewältigung.
  • Förderliche Haltungen: Bewegung ist Ihr bester Freund! Nutzen Sie die Schwerkraft. Gehen Sie umher, bewegen Sie sich auf einem Sitzball, gehen Sie in den Vierfüßlerstand oder nutzen Sie die Gebärwanne. Das unterstützt die Entspannung und das Tiefertreten Ihres Kindes in das Becken.

Phase 3: Die Austreibungsperiode (Expulsionsphase)

Die Austreibungsperiode ist die Phase, in der Sie Ihr Baby aktiv auf die Welt bringen.

  • Was passiert? Diese Phase beginnt, sobald der Muttermund vollständig auf 10 cm geöffnet ist. Sie spüren nun den Pressdrang und können aktiv bei den Presswehen mitarbeiten. Sie endet mit der eigentlichen Geburt des Kindes.
  • Dauer: Bei Erstgebärenden beträgt die Dauer oft 1 bis 2 Stunden, kann aber variieren.
  • Wichtiger Tipp – Dammschutz: Die kritischsten Momente sind, wenn der Kopf durchtritt. Hier ist kontrolliertes Atmen wichtiger als forcierte Pressversuche. Anstatt aktiv zu pressen, sollten Sie kurz vor dem Kopfdurchtritt die Wehe veratmen (Evidenzbasierte Empfehlung: 11). Dadurch wird der Kopf langsamer geboren, was das Risiko für höhergradige Dammrisse signifikant reduziert. Ihre Hebamme wird Sie hierbei anleiten und gegebenenfalls warme Kompressen auflegen.
  • Gebärpositionen: Die Rückenlage wird als ungünstig angesehen (Evidenzbasierte Empfehlung: 11). Aufrechte Positionen (Stehen, Hocken, kniende Positionen) oder die Seitenlage sind empfehlenswert, da sie die Schwerkraft nutzen und den Beckenausgang erweitern können.

Phase 4: Die Plazentaperiode (Nachgeburtsphase)

Die Geburt ist erst abgeschlossen, wenn auch die Plazenta (Mutterkuchen) geboren ist.

  • Was passiert? Nach der Geburt des Babys folgen weitere, leichtere Wehen, die bewirken, dass sich die Plazenta von der Gebärmutterwand löst und ausgestoßen wird.
  • Dauer: Etwa 10 bis 30 Minuten nach der Geburt des Kindes.
  • Wichtiger Tipp: Sobald die Plazenta ausgestoßen wurde, muss sie gründlich auf Vollständigkeit untersucht werden (Quelle hier). Dies verhindert das Risiko von Infektionen oder starken Blutungen nach der Geburt.
  • Der schönste Moment: In dieser Phase genießen Sie in der Regel das Bonding (Haut-zu-Haut-Kontakt) mit Ihrem Neugeborenen, während die Hebamme die letzten notwendigen Schritte durchführt.
Bonding von Mutter mit Neugeborenem

Optimale Vorbereitung: Körperlich, mental und biomechanisch

Eine gute Vorbereitung auf die natürliche Geburt basiert auf drei Säulen, die Ihnen helfen, Schmerz besser zu bewältigen und den Geburtsablauf zu erleichtern.

Biomechanische Tipps zur Förderung der Kindslage

Das Becken ist dynamisch. Wie Sie sich im Alltag verhalten, beeinflusst, wie gut das Baby in das Becken rutschen kann.

  • Aufrechte Haltung: Betrachten Sie Ihr Becken als ein „Körbchen“. Neigen Sie das Becken so, dass das Steißbein leicht zum Boden kippt, anstatt in eine nach vorne geneigte Haltung zu fallen. Das ist die beste Prophylaxe gegen Rückenschmerzen und hilft dem Kind, sich optimal einzustellen.
  • Vermeiden Sie ungünstige Positionen:
  • Tiefe Sofas/Sessel: Vermeiden Sie Sitzmöbel, die eine zurückgelehnte Haltung erzwingen.
  • Knie über Hüfthöhe: Achten Sie darauf, dass Ihre Knie beim Sitzen immer tiefer als Ihre Hüften sind.
  • Beine überschlagen: Schränkt den Platz für das Baby zusätzlich ein.
  • Bewegung: Tägliches Beckenkreisen (kleine oder große Kreise, Achten) lockert die Gelenke und unterstützt die Drehung des Kindes in eine günstige Position.

Evidenzbasierte körperliche Stärkung

Körperliche Vorbereitung ist wichtig, aber es gibt Mythen. Wir klären auf, was wirklich hilft:

Beckenbodentraining: Inkontinenz-Prävention

Zwar beeinflusst Beckenbodentraining den Geburtsverlauf (Dauer der Geburt) nicht direkt. Aber es gibt eine klare, evidenzbasierte Empfehlung:

  • Ziele: Gezieltes Beckenboden-Physiotherapie-Training ab der 18. Schwangerschaftswoche bei einer Fachkraft reduziert signifikant das Risiko einer Harninkontinenz in der Spätschwangerschaft und nach der Geburt (Quelle hier). Trainieren Sie für Ihre langfristige postpartale Gesundheit!

Dammschutz-Maßnahmen

  • Dammmassage: Regelmäßige Dammmassagen in den letzten Wochen können das Gewebe elastischer machen, haben aber in Studien keinen nachgewiesenen Effekt, höhergradige Dammrisse zu verhindern (Quelle hier). Dennoch wird sie oft als angenehm und vorbereitend empfunden.
  • Warme Kompressen: Die Auflage warmer Kompressen auf den Damm während der Austreibungsphase hat eine günstige Wirkung gezeigt, Dammverletzungen zu reduzieren (Quelle hier).

Mentale Stärke und Schmerzbewältigung

Ihre mentale Haltung beeinflusst direkt Ihre Schmerzwahrnehmung.

  • Angst-Spannungs-Schmerz-Zyklus durchbrechen: Angst führt zu Anspannung, was den Schmerz verstärkt und die Geburt verlangsamen kann. Lernen Sie Entspannungstechniken (z. B. Hypnobirthing oder Yoga), um diesen Kreislauf zu durchbrechen.
  • Hypnobirthing: Diese Methode nutzt Visualisierung, Affirmationen und spezielle Atemtechniken, um die Geburt als kraftvolle, natürliche Erfahrung wahrzunehmen. Dadurch wird die Schmerzwahrnehmung positiv beeinflusst (Quelle hier).
  • Die Rolle der Begleitung: Die kontinuierliche emotionale Unterstützung durch Ihren Partner oder eine Doula ist ein entscheidender Faktor für ein positives Geburtserlebnis. Der Partner kann aktiv unterstützen, die Gebärende beruhigen und die Kommunikation mit dem medizinischen Team übernehmen.

Vor- und Nachteile der verschiedenen Geburtswege

Jeder Geburtsweg hat spezifische Vor- und Nachteile. Die Entscheidung (oder die Notwendigkeit) für einen bestimmten Weg hängt von vielen individuellen Faktoren ab.

GeburtswegVorteileNachteile/Risiken
Natürliche GeburtFür Mutter: Schnelle Erholung, frühes Bonding, Hormoncocktail hilft beim Stillstart. Für Kind: Besseres Immunsystem durch Kontakt mit mütterlichen Bakterien im Geburtskanal, natürliche Anpassung an die Atmung.Lange Geburtsdauer, Schmerzintensität, mögliches Risiko für Dammverletzungen und postpartale Inkontinenz.
Kaiserschnitt (Sectio)Geplant: Geringere Angst vor Schmerzen und Unvorhersehbarkeit. Notfall: Lebensrettender Eingriff für Mutter und/oder Kind bei akuten Komplikationen.Für Mutter: Größere Wunde, längere Erholungszeit, erhöhtes Risiko für Verwachsungen/Blutungen. Für Kind: Anfängliche Anpassungsprobleme (Atmung), geringeres Bonding-Erlebnis in den ersten Minuten.
WassergeburtEntspannung und Schmerzlinderung durch warmes Wasser, Förderung der Bewegungsfreiheit, Schonung des Damms.Höherer Aufwand bei der Infektionskontrolle, nicht immer möglich (z. B. bei bestimmten Risikofaktoren), erschwerte Überwachung der Herztöne.
Hausgeburt/GeburtshausIntime, vertraute Umgebung, Stärkung des Selbstvertrauens, geringere Interventionsrate, 1:1-Betreuung durch die Hebamme.Ausschluss bei Risikoschwangerschaften, Transport ins Krankenhaus bei Komplikationen nötig, eingeschränkte sofortige medizinische Notfallversorgung.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) – Für eine schnelle Übersicht

Wie viele Geburtswege gibt es

Grundsätzlich werden zwei Haupt-Geburtswege unterschieden: die vaginale Geburt (natürlich) und die abdominale Geburt (Kaiserschnitt). Darüber hinaus gibt es spezialisierte Varianten wie die Wassergeburt oder die Geburtshelfer-assistierte (operative) vaginale Geburt.

Welcher Geburtsweg ist der häufigste?

Weltweit und auch in Österreich ist die vaginale Geburt der häufigste Geburtsweg. Etwa 70 % aller Geburten in Österreich finden vaginal statt, der Kaiserschnitt macht die restlichen ca. 30 % aus (Quelle: Gyn-Aktiv).

Welche Geburt ist die „einfachste“?

Die „einfachste“ Geburt gibt es nicht, da jede Geburt einzigartig ist. Die natürliche Geburt ist aus physiologischer Sicht für Mutter und Kind oft der schonendste Weg mit der schnellsten Erholung für die Mutter. Sie ist jedoch mit intensivem Schmerz verbunden. Ein geplanter Kaiserschnitt kann die Geburt im Hinblick auf Schmerz und Zeit vorhersehbarer machen, ist aber ein großer operativer Eingriff. Die „beste“ Geburt ist immer die, die sicher für Mutter und Kind ist und mit positiven Bewältigungsstrategien erlebt wird.

Wie lange dauert eine natürliche Geburt durchschnittlich?

Bei Erstgebärenden liegt die gesamte Geburtsdauer oft zwischen 12 und 18 Stunden, wobei die Latenzphase (Phase 1) den größten Teil ausmacht. Die aktive Eröffnungsphase (Phase 2) dauert meist 6 bis 12 Stunden und die Austreibungsphase (Phase 3) 1 bis 2 Stunden. Bei Mehrgebärenden ist die Dauer in der Regel deutlich kürzer.

Kann ich mir die Geburtsmethode aussuchen?

a und Nein. Sie können Ihre Geburtswünsche in einem Geburtsplan festhalten. Solange keine medizinischen Risiken oder Notfälle vorliegen, wird die natürliche Geburt angestrebt. Ein Kaiserschnitt auf Wunsch (elektiv) ist in vielen Kliniken möglich, jedoch wird das medizinische Team immer eine vaginale Geburt empfehlen, wenn die Voraussetzungen dafür gut sind. Ihre Sicherheit und die Ihres Kindes haben immer oberste Priorität.

Wie oft muss ich mich auf das Pressen vorbereiten?

Das Pressen ist intuitiv. Wichtiger als ein hartes Training ist die Fähigkeit, in der Austreibungsphase kontrolliert und dosiert zu pressen und die Wehen bei Bedarf zu veratmen, um das Gewebe zu schonen. Ihre Hebamme wird Ihnen im entscheidenden Moment zeigen, wie Sie die Wehen am besten nutzen.

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